Berlin, 08. November 2017. Das Statistische Bundesamt veröffentlichte heute Zahlen zu Armut oder sozialer Ausgrenzung in Deutschland und Europa für das Jahr 2016. „Die Wahrscheinlichkeit in Zukunft von Armut betroffen zu sein, wächst noch immer“, kommentiert der AWO Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler die Zahlen. In Deutschland stieg der Anteil der Armutsgefährdeten auf 19,7 Prozent der Gesamtbevölkerung an. In der Europäischen Union lag er bei 23,5 Prozent. Stadler sieht die Verantwortung dafür in den politischen Rahmenbedingungen: „Die Bundesregierung muss sich fragen lassen, wieso trotz sprudelnder Steuereinnahmen und immer neuer Beschäftigungsrekorde, die Armutsgefährdung in der Bundesrepublik seit Jahren zunimmt.“ Damit teile sich Deutschland, eines der führenden Industrieländer der Erde, immer weiter auf in wenige Gewinner und viele Verlierer. „Nur ein Politikwechsel kann diese Entwicklung stoppen“, betont Stadler und führt aus: „Wir müssen weg von der Niedriglohnpolitik und einem Minijobsystem, dass sich für immer mehr Menschen zur Armutsfalle entwickelt.“
„Wir spüren immer deutlicher, dass der nationale Sozialstaat im gemeinsamen europäischen Binnenmarkt an seine Grenzen stößt. Die erzwungene Austeritätspolitik und eine zunehmende Konkurrenz der Sozialsysteme führen automatisch zu einem Sozialstaatsabbau und einer Zunahme von Ungleichheiten. Es ist dringend geboten, ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft zu verhindern“, betont Wolfgang Stadler. Von der zukünftigen Bundesregierung fordert Stadler: „Die neue Legislaturperiode muss im Namen der sozialen Gerechtigkeit stehen. Was wir brauchen sind Reformen und Veränderungen, die direkt und unmittelbar allen Mitgliedern der Gesellschaft helfen, soziale Probleme und deren Auswirkungen zu überwinden. Investieren müssen wir nicht nur in Bildung und Betreuung, um so die gleichen Teilhabechancen für alle Kinder herzustellen. Wir müssen uns auch für eine nachhaltige Arbeitsmarktpolitik stark machen, die Qualifizierungs- und Beschäftigungskonzepte im Interesse der Erwerbslosen vorsieht.“
Auch das System der Grundsicherung müsste an mehreren Punkten überarbeitet werden: die Berechnung der SGB II-Regelbedarfe müsse neu angesetzt und um qualitative Erhebungen ergänzt werden und die Frage der Zumutbarkeit von Arbeitsangeboten für Arbeitsuchende müsse neu in den Blick genommen werden. „Nur mit solch einem Gesamtkonzept kann es gelingen, Ungleichheiten zu überwinden und den solidarischen Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken“, bekräftigt Wolfgang Stadler abschließend.