Am 25. Mai 2018 beging der AWO Bezirk Rheinland die feierliche Einweihung seiner sanierten Geschäftsstelle in Koblenz und setzte seiner Gründerin und bekannten Frauenrechtlerin Marie Juchacz ein Denkmal. Eine Bilderausstellung von Werner Baumann zum Thema Demenz ergänzte das Rahmenprogramm.

Nach nur 18-monatiger Sanierungszeit wurden am 25. Mai 2018 die neuen Räume der Hauptgeschäftsstelle des AWO Bezirksverbands Rheinland eingeweiht. Die direkt an der B9 gelegene Geschäftsstelle wurde im Jahr 1981 erbaut und musste dringend den aktuellen Brandschutzbestimmungen angepasst werden. Aus diesem Grund waren Umbauten notwendig. Man entschloss sich letztendlich, das Gebäude komplett zu sanieren.

Mehr als 200 geladene Gäste aus ganz Deutschland folgten der Einladung zur Einweihung der sanierten Geschäftsstelle, darunter Mitglieder des Bundestags und Landtags, Orts- und Oberbürgermeister, Vorsitzende und Geschäftsführer der Wohlfahrtsverbände in Rheinland-Pfalz sowie die Sozialministerin von Rheinland-Pfalz. Im Rahmen der Feier wurde das Gebäude als „Marie-Juchacz-Haus“ bekannt gemacht – ganz zu Ehren der Gründerin der Frauenbewegung, aus der die AWO im Jahr 1919 hervorgegangen ist. Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt hatte erst im August 2017 ein großes Marie-Juchacz-Denkmal in Berlin enthüllt. Eine kleinere Replik davon kann man nun auch in Koblenz besichtigen.

Rudi Frick, Vorsitzender des AWO Bezirksverbands Rheinland e. V., begrüßte die Anwesenden und sprach auch über den Werdegang und die Leistungen von Marie Juchacz

Rudi Frick begrüßte die Gäste zur offiziellen Inbetriebnahme der sanierten und erweiterten Bezirksgeschäftsstelle und zur feierlichen Namensgebung der Einrichtung. Den Namenszug „Marie-Juchacz-Haus“ kann man nun an der Stirnseite des Gebäudes sehen. Marie Juchacz war die Frau, die vor fast 100 Jahren die Arbeiterwohlfahrt begründet hat. Vom Schicksal hatte sie, 1879 als Tochter verarmter Handwerker in Landsberg an der Warthe in der Provinz Posen als Marie Gohlke geboren, nicht viel zu erwarten. Politisch war sie im Kaiserreich ohne Wahlrecht ein Mensch zweiter Klasse. Als Volksschülerin fast ohne Ausbildungsmöglichkeiten, sah die Lebensperspektive für Marie Juchacz nach Fabrikarbeiterin und späterer Versorgung durch Heirat aus. Sie arbeitete als Dienstmädchen, Fabrikarbeiterin sowie als Wärterin in der Provinz-Landes-Irrenanstalt. Mit erspartem Geld leistete sie sich eine Ausbildung in Weißnäherei und Schneiderei. So lernte sie ihren Ehemann, den Schneidermeister Bernhard Juchacz, kennen und heiratete ihn. Die Ehe scheiterte und wurde geschieden – für die damalige Zeit ein ungewöhnlicher Vorgang. Sie zog als alleinerziehende Mutter 1905 mit zwei kleinen Kindern nach Berlin. Marie Juchacz arbeitete seit 1903 im Umfeld der SPD, zu einer Zeit, als politische Betätigung für Frauen verboten war. Im Jahr 1913 wurde sie in Köln Frauensekretärin für den Parteibezirk Obere Rheinprovinz, wo sie sich vor allem um die Organisation der Textilarbeiterinnen im Aachener Raum kümmerte.

Für die SPD übte sie in der Folgezeit viele wichtige Funktionen aus. Sie war bis 1933 Mitglied des Reichstages. Am 19. Februar 1919 sprach sie als erste Frau im Parlament. Mit ihrer Redeeröffnung „Meine Herren und Damen!“ sorgte sie ausweislich des Protokolls für Heiterkeit, ihr war es allerdings sehr ernst. Von der Gründung der Arbeiterwohlfahrt am 13. Dezember 1919 bis 1933 war sie erste Vorsitzende. Von 1921 bis 1931 gehörte sie dem Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge an. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten emigrierte Juchacz ins Saargebiet. Als die Bevölkerung des Saarlandes für den Anschluss an das Deutsche Reich votierte, floh sie ins Elsass und nach Kriegsbeginn über Paris nach Marseille. 1941 floh sie mit einem Notvisum über Martinique nach New York, wo sie bis 1949 lebte.

In New York gründete sie 1945 die Arbeiterwohlfahrt USA, die nach Kriegsende mit Paketsendungen Unterstützung im zerstörten Deutschland leistete. 1949 kehrte Marie Juchacz aus dem Exil nach Deutschland zurück und wurde Ehrenvorsitzende der wiederbegründeten Arbeiterwohlfahrt. Am 28. Januar 1956 starb Marie Juchacz in Düsseldorf. Mit der Namensgebung bringt der Bezirksverband seine Wertschätzung und Hochachtung vor den Leistungen der Gründerin für die demokratische und soziale Entwicklung in Deutschland zum Ausdruck.

„Ich wünsche den Mitarbeiter*innen unseres Verbandes, dass es ihnen gelingt, im Sinne von Marie Juchacz und auf der Grundlage unserer Werte, Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, für die uns anvertrauten Menschen und die Gesellschaft zu arbeiten“, betonte Frick.

Wolfgang Stadtler beglückwünscht den AWO Bezirk Rheinland für seine hervorragenden Leistungen

Wolfgang Stadler, Vorsitzender des AWO Bundesverbands, kam aus Berlin und brachte seine Wertschätzung für die Leistungen des Bezirks zum Ausdruck.

„Ein hoher technischer und digitaler Stand hilft uns, in unserer digitalisierten Welt Angebote für die Menschen zu verbessern, für die sich die Arbeiterwohlfahrt so stark einsetzt. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass sich auch die AWO modern aufstellt, um den Herausforderungen unserer heutigen Welt auch in Zukunft begegnen zu können.“

Stadler sprach davon, dass sich die AWO den digitalen Herausforderungen stellt, sich aber nicht am Prozess von übergriffigen Datenkraken beteiligen möchte. Die AWO öffne sich, sei jedoch weder gleichgültig noch naiv. Wichtige Impulse im Bereich der Mitgliedergewinnung gehen vom AWO Bezirk Rheinland aus. Stadler bedankte sich für den Einsatz der Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen Mitarbeiter*innen und auch für die Ehre, die Marie Juchacz hier erwiesen werde.

David Langner, Oberbürgermeister der Stadt Koblenz, freute sich über die Unterstützung des Koblenzer Stadtrates auf der Veranstaltung und begrüßte u. a. die Abgeordneten des Landtages, des Bundestages und des Europäischen Parlaments.

Langner begrüßte das moderne und angenehme Arbeitsumfeld, welches der Bezirksverband für seine vielen hauptamtlichen Mitarbeiter geschaffen hat. Langner sprach sich für einen stetigen Konsens auf Augenhöhe mit allen Wohlfahrtsverbänden aus:

„Wir befinden uns in einer Situation, in der wir in der Stadt, der Region und auch auf Bundesebene von niedrigen Arbeitslosenzahlen und prosperierender Wirtschaft profitieren. Dennoch gibt es Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden und wenig Perspektiven sehen. Ganz besonders vor diesem Hintergrund leisten die Wohlfahrtsverbände eine besondere Arbeit, indem sie mit ihren sozialen Leistungen und Hilfen für den gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhalt sorgen.“

Langner bedankte sich für die vielen Aktionen im Umfeld der Stadt Koblenz. Er nannte die Stadtranderholungen, die Seniorenzentren und die vielen Aktionen der Kreis- und Ortsvereine der AWO. Zuletzt bedankte er sich auch bei den vielen hauptamtlichen Mitarbeitern, welche sich um die Belange von ca. 3500 Mitarbeitern in der Fläche kümmern und ganz essentiell mit ihrer Arbeit die Stabilität und Qualität der sozialen Leistungen vorantreiben.

Sozialministerin Bätzing-Lichtenthäler gratulierte zur Namensgebung der Geschäftsstelle

Auch Staatsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie in Rheinland-Pfalz, gratulierte dem Bezirksverband zur modernisierten Geschäftsstelle und lobte die AWO als Gestalter sozialer Infrastruktur.

„Für die Landesregierung ist die AWO ein wichtiger Akteur und Partner, der zur sozialen Sicherheit in unserer Gesellschaft beiträgt. Ich wünsche der AWO, dass sich ihre Werte auch immer wieder bei der Arbeit für die Menschen widerspiegeln. Die Werte der AWO stehen in unserer modernen Zeit, die immer schneller, dynamischer und vielleicht auch unsicherer erscheint, eine große Rolle. Es sind auch Werte, auf die wir uns besinnen und für die unser Grundgesetz steht. Unser Sozialstaat kommt ohne solidarisches und menschliches Miteinander nicht aus.“

Auch dafür brauche es die Wohlfahrtsverbände, betonte Bätzing-Lichtenthäler. Insbesondere würdigte sie die Arbeit von Marie Juchacz und ihre Rolle als Wegbereiterin der Frauenbewegung mit dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit.

Andreas Zels sprach über die Hintergründe und Fakten zur Modernisierung der Geschäftsstelle

AWO Geschäftsführer Andreas Zels erörterte die Herausforderung, denen man nach 37 Jahren des Bestehens der Geschäftsstelle gegenüberstand. Er erklärte, warum man sich letztendlich für die Sanierung entschied. Neben allen anderen Möglichkeiten, die auch Überlegungen zur Aufgabe des alten Gebäudes einschlossen, war eine Sanierung letztendlich die wirtschaftlichste Lösung.

Der Bezirksverband betreibt zahlreiche soziale Einrichtungen, darunter 14 Seniorenzentren, 7 Kindergärten und 8 Migrationsberatungsdienste. Insgesamt beschäftigt der Bezirk Rheinland ca. 2000 Mitarbeiter*innen. In Koblenz fungiert er auch als Anlaufstelle für die 17.000 Mitglieder, die in 19 Kreisverbänden und 174 Ortsvereinen ehrenamtlich aktiv sind und sich für gemeinschaftliche Aktionen und soziale Hilfen engagieren.

Eine in die Jahre gekommene Elektrik, gestiegene Anforderungen an den Brandschutz sowie fehlende räumliche Kapazitäten für die seit den 80er-Jahren um 90% gestiegene Beschäftigtenzahl hatten die Investition notwendig gemacht. Die Umbaumaßnahmen begannen im September 2016. Ende Februar 2018 konnten die gut 80 in der Geschäftsstelle arbeitenden Mitarbeiter*innen ihre neuen Räume beziehen und freuen sich nun über ergonomische Arbeitsplätze mit optimalen Licht- und Schallverhältnissen. Auch energetisch wurde das Gebäude optimiert. Die moderne Architektur bietet eine barrierefreie und behindertengerechte Bauweise mit großzügigen Durchgangsbereichen und einem großen Fahrstuhl. Alle Bereiche des Hauses sind heute einfach und schnell zu erreichen.

Zels erklärt: „In den letzten 10 Jahren hat die AWO sehr viel investiert: fast 95 Mio. Euro in Investition und Instandhaltung für die Einrichtungen der Altenhilfe. In den Umbau und die Erneuerung der Zentrale wurden 4,5 Mio. Euro investiert. Wir haben nicht nur in das Gebäude investiert, wir investieren in unser Personal, wir investieren in die Personalentwicklung und in die Verbesserung der Arbeitsprozesse, in die EDV und den Fuhrpark. Wir glauben an die Zukunft der Arbeiterwohlfahrt hier in dieser Gesellschaft, und dafür müssen wir die Grundlage schaffen. Wir brauchen Arbeitsplätze, mit denen man Zukunft gestalten kann.“

Anschließend erfolgte die symbolische Schlüsselübergabe durch die Vertreter des Architekturbüros.

Eröffnung der Foto- und Videoausstellung

Nach den Grußworten eröffnete Andreas Zels gemeinsam mit Sabine Bätzing-Lichtenthäler die berührende Foto- und Videoausstellung von Fotograf Werner Baumann aus Höhr-Grenzhausen. In seinem Projekt porträtiert er fünf Menschen mit demenziellen Erkrankungen, die im AWO Seniorenzentrum in Höhr-Grenzhausen leben. Die Entstehung der authentischen und gleichzeitig wunderschönen Aufnahmen hielt Baumann auch auf einem Video fest, das an zwei Stellen gezeigt wird. Für diese Arbeiten wurde der Künstler im September 2016 für den Staatspreis nominiert.